© Sämtliche Fotos: Martin Frey & Philipp Graf | © Sounds: Lisa Puchner
Martin Frey, Philipp Graf:
Wien – Großstadt der Lichter?
Die beiden Stadtforscher Martin Frey und Philipp Graf tauchen ein ins
nächtliche Bermudadreieck. Wiens bekanntestes Ausgeh- und
Vergnügungsviertel erstreckt sich über Rabensteig, Seitenstettengasse
und Judengasse bis zum Ruprechtsplatz. Beleuchtung und Lichtreklame
weisen ihnen den Weg. Assoziativ lassen sie sich durch die nächtlichen
Gassen dieser Gegend treiben. Fotografisch erkunden sie, welche Arten
der Beleuchtung ihnen den Weg vorgeben und wie sie diese wahrnehmen.
Schon bei den ersten Streifzügen ist klar: die Nacht ist schwarz, aber
nicht lautlos. Den Blick durch den Sucher gerichtet, waren die Geräusche
der Umgebung besonders intensiv. Lisa Puchner begleitet die beiden auf
ihrer Forschungsreise durch die Nacht und hält die Umgebung der
einzelnen Stationen akustisch fest. So werden die Blicke auf Reklame und
Beleuchtung mit Fragmenten des nächtlichen Klangteppichs verknüpft.
1980 wurde mit der Eröffnung der beiden Lokale Krah Krah und Roter Engel am Rabensteig der Grundstein für das Bermudadreieck gelegt. Es war dies der Beginn eines völlig neuen, bislang unbekannten Beisl-Booms, im zu jener Zeit noch etwas verschlafenen und provinziellen Wien. Auch in zahlreichen anderen Bezirken Wiens eröffneten neue Lokale. Diese Entwicklung sollte die folgenden Jahrzehnte anhalten und durch später dazukommende Schanigärten, Terrassen und Open-Air-Bereiche erweitert und bereichert werden.
Das Bermudadreieck ist kein klar abgegrenzter Bereich, der durch individuelle Beleuchtung oder eigenes Straßenmobiliar erkennbar ist. Die Grenzen sind verschwommen, die Übergänge fließend. Sowohl Richtung Rotenturmstraße als auch Richtung Hoher Markt und Rudolfsplatz sind Ausläufer entstanden. Der Schwedenplatz, ein Knotenpunkt des öffentlichen Verkehrs, dient als gastronomische Nahversorgung für die NachtschwärmerInnen.
Vom Bermudadreieck bis hin zum Rudolfsplatz befindet sich zugleich auch das Wiener Textilviertel, mit ursprünglich vorwiegend von jüdischen Geschäftsleuten betriebenen Textilfachgeschäften und Großhandelsunternehmen. Ab den 1990er Jahren mussten zahlreiche dieser Geschäfte schließen und zehn Jahre später stand jedes dritte Geschäft in diesem Viertel leer. In dieser Zeit eröffneten unzählige neue Lokale und Bars in den zum Teil recht weitläufigen leerstehenden Geschäftsflächen. Das kommerzielle Nachtleben in ganz Wien erhielt zahlreiche Impulse und das Ausgehverhalten veränderte sich hin zu einem sehr aktiven – nicht zuletzt durch den Einsatz von Nachtbussen im öffentlichen Verkehr seit Mitte der Achtziger Jahre.
Und dennoch ist Wien im Vergleich zu anderen Großstädten eine dunkle Stadt, auch dort wo das Nachtleben pulsiert. Man fühlt sich wohlig umhüllt von der Dunkelheit der Nacht. Punktuelle Lichtreklamen und Schaufensterbeleuchtungen leiten zu hellen, ausgeleuchteten Bereichen, um nach wenigen Schritten wieder in die Dunkelheit zu führen, die sparsam durch öffentliche Beleuchtung erhellt wird. Das gelblich-orange Licht der Straßenbeleuchtung mit einer Farbtemperatur von ca. 2.000 Kelvin verstärkt diesen Eindruck von fahlem Licht. Seilleuchten in ihrer berühmten historisierenden »Maiglöckchen«-Form erscheinen wie Lichtpunkte am schwarzen Himmel.
Umso intensiver werden vor dem Hintergrund der öffentlichen Beleuchtung, kommerzielle Schilder und Neonschriften der Cafés, Restaurants und Bars in der schwarzen Luft der Nacht wahrgenommen. In ebenso starkem Kontrast dazu steht das helle, weiße Licht der Schaufensterbeleuchtungen und der öffentlichen U-Bahn-Abgänge. Die Auslagen mancher Geschäfte leuchten trotz später Stunde den Gehsteig aus. Sie nutzen ihre belebte Lage, um sich auch spätnachts zu präsentieren.
Bei der Annäherung an das Bermudadreieck über die Rotenturmstraße ist die öffentliche Beleuchtung ebenso zaghaft, wie auf dem Schwedenplatz, dem wichtigsten kulinarischen Versorger für NachtschwärmerInnen. Die Rotenturmstraße als Geschäftsstraße, wird durch nächtliche Auslagenbeleuchtungen und zahlreiche kommerzielle Licht- und Neonreklamen zusätzlich, aber ungleichmäßig erhellt. Am Schwedenplatz strahlen die Imbissstände wie hellerleuchtete Inseln im Dunkel der Nacht und die U-Bahn-Abgänge weisen in grellweißem Neon den Weg. Die hinterleuchteten »City Lights« in ihren verschiedenen Formen von Wartehallen, Vitrinen und Säulen, spenden ebenfalls Licht – in Farbe und Intensität abhängig vom jeweiligen Sujet. Bemerkenswert ist, dass handwerklich gefertigtes Neon in den Straßen wieder zaghaft Einzug hält. Kunstvolle mehrfarbige Schriftzüge, Symbole und Darstellungen kontrastieren jene hintergrundbeleuchteten Geschäfts- und Werbeschilder, die oftmals nur noch mit bedruckten Folien kaschiert werden. Vor allem im Gastronomiebereich finden sich zum Teil sehr kunstvoll gefertigten Neonschriftzüge, die Urbanität, Qualität und Beständigkeit vermitteln.
Die Ausläufer des Rabensteigs wirken düster, nach Mitternacht ebenso die Judengasse, Sterngasse und der Ruprechtsplatz. Lediglich die Seitenstettengasse ist in helles Licht getaucht, nicht zuletzt durch zusätzliche Beleuchtung, die privat an der Häuserfront angebracht wurde. Hier reiht sich ein Lokal an das andere. Zusammen mit dem Rabensteig sind dies die einzigen, gleichmäßig hell ausgeleuchteten Bereiche im Bermudadreieck. Wobei die helle Ausleuchtung nicht nur die kommerziellen Interessen der Lokale unterstützen kann, sondern ebenso die Sicherheit der BesucherInnen und der in dieser Straße befindlichen Einrichtungen der Israelitischen Kultusgemeinde.
In den Straßen im und um das Bermudadreieck herrscht in der Wahrnehmung ein steter Wechsel zwischen öffentlicher und kommerzieller Beleuchtung, der sich in stark kontrastierenden Hell-Dunkel-Zonen manifestiert. Kommerzielle Beleuchtung funktioniert wie ein emotionaler Verstärker, wie ein Magnet, der Menschen anzieht und zugleich die konstant anwesende Straßenbeleuchtung in den Hintergrund treten lässt. Mehr Licht lässt stets auf ein verdichtetes Auftreten kommerzieller Einrichtungen schließen. Dunkle Seitengassen verheißen nichts, sind menschenleer. Jenes Licht, das aus den hellen Gassen dringt, suggeriert Versprechungen, macht neugierig. Es lockt und zieht die Menschen an und erfüllt damit seine werbliche Funktion. Sowohl hier, wie auch dort findet sich noch ausreichend Platz, die Wege der NachtschwärmerInnen aber auch jener Menschen, die absichtslos durch die Nacht flanieren, zu erleuchten – um so die schwarze Nacht zum Tag werden zu lassen.
Text und Fotografien: © Martin Frey, Philipp Graf – Wien, Oktober 2015.
Lisa Puchner:
Bermudadreieck aus dem Off
Ein bekanntes Phänomen – sobald die ersten Lichter angehen, wandeln
sich städtische Ausgehviertel zu gut besuchten Spielflächen. Hier werden
tagsüber weniger tolerierte Zurschaustellungen oder Ausbrüche eines
Selbst sowie seitens der Mitmenschen zugelassen, preisgegeben und
gebilligt. Die bloße Präsenz einer Kamera oder eines Aufnahmegeräts
wirkt dabei zum Teil entfesselnd auf das meist nicht mehr ganz nüchterne
Publikums-Ensemble. Zumindest aber lässt sich dieses in seiner
Aktivität nur selten von Aufnahmegeräten stören. Was untertags viele
Menschen hemmt, motiviert – mit etwas Alkohol und im Ausgeh-Modus –
viele nächtliche SelbstdarstellerInnen zur bewussten Artikulation oder
In-Szene-Setzung ihrer Gegenwart. Dabei verstärkt und vergrößert das
Akustische, das »Verlautbaren«, den beanspruchten Präsenzraum.
Bei
der Fokussierung auf die visuellen Reize, Beleuchtung und Reklamen, wird
das Treiben unter den Lichtern weitgehend ausgeblendet. Was dabei aus
dem gewählten Ausschnitt fällt, teilt sich aber umso stärker akustisch
mit und dringt durch Schallwellen auf den Aufmerksamkeitsradar zurück.
In einem Vergnügungsviertel wie dem Bermudadreieck wird von Seiten der BesucherInnen nur selten bewusst auf die akustische Seite des nächtlichen Hierseins geachtet. Zugleich sind aber beim Gedanken daran sofort die typischen Sounds präsent: schallendes Gelächter, dahinklappernde Absätze, die nur manchmal von Zigarettenstummel gedämpft werden und Kieselsteine knirschen lassen, durch Türen der Clubs und Bars dringende, einfach gestrickte Rhythmen, »Wohooooo«-Laute, die sich selbst feiern, Gejohle, Gegröle, Buhl-Rufe.
Auch im und rund um das Bermudadreieck konzentrieren sich diese stereotypen nächtlichen Vergnügungs-Sounds. Zugleich macht sich im Bereich der Rotenturmstraße und entlang des Schwedenplatzes das konstante Dröhnen von Motoren relativ präsent breit. Das Werken des Koch- und Servierbestecks von den vielen Eis-, Würstel-, Kebab-, Nudel-, Pizza- und Falafelständen vermischt sich mit dem Aufklingen, der in ihren Feierabend gestapelt werdenden Alusessel. Aber auch Räder, Skateboards, Straßenbahnen, Türen und Fenster tragen das Ihrige zur Atmosphäre bei. Und tatsächlich ist das Bermudadreieck an gewissen Ecken und Enden verhältnismäßig leise und lässt so weniger in den Vordergrund dringende Artikulationen, wie vorbeilaufende Hunde, Feuerzeuge, Grillen und Besen zur Sprache kommen.
Einzelne Tonakteure und Tonakteurinnen sehen in den leisen Momenten ihre Chance, erhört zu werden und nehmen sich gerade hier übermäßig großen Schallraum heraus. Wo der allgemeine »Drone« nachlässt, vermindern sich auch individuelle Ausdrücke in ihrer Lautstärke und verhelfen so hin und wieder einzelnen Geräuschen zu einem prominenten Auftritt. Gleichzeitig schaukeln sich die vielen unterschiedlichen Lautquellen wiederum in ihrer Verdichtung gegenseitig auf und versuchen, in der Angst unterzugehen, aus der Lautmasse hervorzustechen.
Die während des Streifzugs durch das Bermudadreieck in einer Sommernacht eingefangenen Tonfragmente ermöglichen hier das ausschnitthafte Aufhorchen im undefinierbaren Gebrumme des Freizeit-Nacht-Kommerzes. Die jeweilige akustische Umgebung während des Betrachtens von Beleuchtung oder Reklame dringt wie eine Stimme aus dem Off ins Wahrnehmungsfeld ein und besteht auf Gehör.
© Text Bermuda-Dreieck aus dem Off und Sounds: Lisa Puchner – Wien, Oktober 2015
i